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Ästhetik und Führungskultur – Ein imaginäres Interview in Fragen und Antworten:

  1. Die Unternehmensführung befindet sich im Wandel. Was ist dabei die wichtigste Veränderung?

 

Eine der wesentlichen Veränderungen in der Unternehmensführung ist meiner Ansicht nach, dass der Mensch mit seiner individuellen Persönlichkeit und seinem eigenen Willen wieder in das Zentrum rückt und dadurch Arbeit neu definiert wird, bzw. neu definiert werden muss. Der Mitarbeitende wird immer mehr in seiner Rolle als ernst zu nehmender Stakeholder wahrgenommen und nicht mehr als Objekt in einer Controlling-Liste, worin er lediglich als Kostenfaktor geführt wird, von dem sich das Management mit einem Seufzer der Erleichterung nach Ablauf der Befristung wieder trennt, um nach günstiger zu bezahlenden Bewerbern Ausschau zu halten. Eine unnachgiebige Realität, die trotz tagtäglicher Lippenbekenntnisse in sämtlichen Medien nicht von ihrer Gewalt lassen will – aber die Zukunftsmusik ist leise im Hintergrund zu hören und spielt sich mit zunehmender Lautstärke in den Vordergrund.

 

Mit zunehmender Digitalisierung und Automatisierung, nimmt der Stellenwert von kreativer und damit selbständiger Arbeit zu, denn kein Algorithmus kann Kreativität hervorbringen.

So erhöht sich der Wert menschlicher Arbeit, mit all ihren impliziten Kategorien und muss taktisch und strategisch in der Führung von Unternehmen absichtsvoll und kompetent eingebunden werden.

 

Damit einher geht der Abschied vom linearen, eindimensionalen Denken und Lenken. Immer deutlicher zeigt sich, dass die Unternehmen gut für die Zukunft aufgestellt sind, die eine mehrdimensionale Steuerung fahren, die Flexibilität ermöglicht und diese in vorausschauende, gesamtkonzeptionelle Maßnahmen einbetten.

 

Mit in dieses Thema spielen die Erkenntnisse aus der Quantenphysik, die allmählich unseren Blick auf die Welt verändern. Anstelle der bisher angenommenen mechanistische und objektivierten, zeitlich determinierten Welt, entblättert sie sich als genuin kreatives Beziehungsgefüge mit dynamischen Kann-Möglichkeiten – sehr, sehr verkürzt angerissen...aber wichtig für das sich verändernde Verständnis.

 

Auch mit diesen Veränderungen wandeln sich Führungs- und Unternehmenskulturen, wobei ich der festen Überzeugung bin, dass die Verankerung von Ästhetik in der Unternehmensphilosophie dazu beiträgt, diese gestalten zu können.

 

 

  1. Welche Rolle spielt es dabei, bei der Arbeit Sinn zu stiften?

 

Die Veränderungen in der Arbeitswelt stellen den Status quo in Frage. Arbeitsumstände, Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten, Arbeitsorte, Arbeitsergebnisse stehen auf dem Prüfstand und werden immer stärker ausgehandelt.

Neben der extrinsischen Motivation, rückt zunehmend die intrinsische Motivation in den Fokus, und damit verbunden die Frage nach dem Sinn der Arbeit. Ich möchte den Begriff des „Sinns“ jedoch um den Begriff „Bedeutung“ erweitern. „Bedeutung“ beinhaltet einen Sinn und gibt den damit verbundenen Kategorien mehr Raum. Allerdings müssen der Sinn bzw. die Bedeutung eines Unternehmens schon irgendwo vorhanden und zu finden sein; kreieren lassen sich diese nicht.

 

Dominic Veken: „Nur wenn wir den Sinn eines Unternehmens kennen und er uns bei der Arbeit bewusst ist, haben wir das Gefühl, Teil von etwas Großem zu sein und unsere Zeit in etwas zu investieren, für das es sich lohnt zu streiten, zu kämpfen, sich anzustrengen.“ Besser kann man das nicht auf den Punkt bringen.

 

Die Rolle der Sinnstiftung gewinnt immer mehr an Bedeutung, denn sie ist unmittelbar mit dem Thema Loyalität und der nächsten Frage verbunden.

 

 

  1. Was können Arbeitgeber in Zeiten des Fachkräftemangels noch tun, um hoch qualifizierte Arbeitnehmer an das Unternehmen zu binden?

 

Eine sehr weit ausgreifende Frage, die in so viele Bereiche hineinreicht, dass ihre Beantwortung den Rahmen dieses Interviews sprengen würde. Deshalb eine nur sehr kleine Beleuchtung im Hinblick auf das Thema „Ästhetik“, welches aber nur gelingen kann, wenn eine Gesamtschau auf ein Unternehmen zugelassen wird.

 

Schon seit der Jahrtausendwende, wurde in Fachartikeln auf die Zeiten des Fachkräftemangels hingewiesen. Und schon damals wurden die unterschiedlichsten Strategien vorgestellt, um diesem Mangel zu begegnen.

Hierfür wird die Attraktivität der Arbeitgebermarke als Ergebnis des Employer-Branding als Teil der Außendarstellung immer wichtiger. Da reicht es nicht mehr aus, sich nach außen hin glänzend darzustellen und ein Blendfeuerwerk zu zünden. Nein, in den Zeiten von digitalen Bewertungsplattformen, digitaler Vernetzung, sozialen Medien etc. kommt es entscheidend darauf an, dass auch die internen Strukturen, die jeweilige Kultur und die Werte einer Überprüfung standhalten.

 

Hierfür müssen aus meiner langjährigen Erfahrung heraus die folgenden Fragen positiv beantwortet werden können: Gibt es z.B. Mitarbeiterbefragungen, die nicht nur um ihrer selbst durchgeführt werden und ganz konkrete, positive Auswirkungen für die Mitarbeitenden haben. Gibt es eine Personalabteilung, die FÜR die Mitarbeitenden da ist und nicht nur dazu genötigt/missbraucht wird, Entscheidungen des Managements zu verkaufen. Gibt es Entwicklungsmöglichkeiten, bei denen die Qualifikation im Mittelpunkt stehen? Wie groß sind Gestaltungsfreiräume, um mit Kompetenzen und Fähigkeiten den Erfolg des eigenen Verantwortungsbereichs und damit den des Unternehmens insgesamt zu beeinflussen? Sind die Entlohnungsgrundsätze gerecht ausgestaltet? Wird die individuelle Work-Life-Balance berücksichtigt? Werden ältere Mitarbeitende ob ihrer Erfahrung geschätzt? Gibt es gelebte, ernst gemeinte Kundenorientierung? Gibt es Weiterentwicklungsmöglichkeiten? Gibt es eine positive Fehlerkultur?

 

Werden diese Fragen überzeugend und nachprüfbar positiv beantwortet, vermitteln sie spürbare Wertschätzung und hohe Identifikation wobei Vertrauen und ein Gemeinschaftsgefühl entstehen, die zu nachhaltiger Bindung führen.

Und darüber hinaus: Sind die Bindungsinstrumente mit einem ästhetischen Gesamtkonzept verknüpft, entsteht für die Arbeitgebermarke eine positive Botschaft.

 

 

  1. Ist Ästhetik das Führungsinstrument der Zukunft und wie kann man sich das vorstellen? Wie können Führungskräfte schöner führen?

 

Ästhetik möchte ich nicht mit „Schönheit“ verwechselt wissen. Das geht mir dann doch zu sehr in Richtung geschmacklicher Standpunkte oder wissenschaftlich nachweisbarer Bereiche von „Schönheit“.

Ästhetik geht vielmehr darüber hinaus und beschreibt eine sinnliche Wahrnehmung mit wertender Beurteilung.

 

Im unternehmensspezifischen Kontext ist Ästhetik im besten Sinne ein Führungsinstrument, weil 70 bis 80 Prozent des Erfolgs von Emotionen und Sympathie abhängen.

Mit der Entwicklung einer unternehmensspezifischen Ästhetik wird die angestrebte Kultur sichtbar. In diesen Entwicklungsprozess sollten die Mitarbeitenden unbedingt mit einbezogen werden. Denn eine Frage für die Analyse lautet: Haben alle Unternehmensbereiche dasselbe Verständnis von der ästhetischen Leitlinie – oder gibt es eine Kluft zwischen Management und Mitarbeitenden – wie allenthalben zu beobachten ist?

Die dadurch unter anderem angestrebte Förderung der Identifikation kann nicht anders gelingen.

Und eines gilt: Gute Führung muss nicht neu erfunden werden. Sie ist allerdings häufig Controlling-Maßnahmen zum Opfer gefallen...aber das ist wieder ein eigener Themenkomplex für sich.

 

Ein überzeugend ästhetisches und in die Unternehmensführung integriertes Gesamtkonzept trägt dazu bei, dass Mitarbeitende bei der Differenzierung des Unternehmens mitwirken – mit direkten ökonomischen Auswirkungen – und Kunden ein Unternehmen bevorzugen, das attraktivere Assoziationen transportiert – mit direkten ökonomischen Auswirkungen...und zusammen mit all den vorgenannten positiven Aspekten, die sich aus der Beschäftigung mit Ästhetik ergeben, entwickelt sich auch gleichzeitig „schöneres“ Führen.

 

 

  1. Was bewirkt es, Ästhetik in die Führung zu integrieren?

 

Indem das Thema „Ästhetik“ in die Unternehmensstruktur integriert wird, formt sich ein Rahmen um sämtliche Managementprozesse und generiert damit die emotionale Rendite.

Werden ästhetische Themen auf allen Ebenen implementiert, fördert dies vernetztes Denken, einen konstruktiven Umgang mit Komplexität und einen mehrdimensionalen Blick, der die Gesamtheit erfasst, über den einzelnen Arbeitsplatz, über den Unternehmensbereich hinaus, co-kreative Teams können sich bilden.

 

Insgesamt wird kreatives Denken und Handeln ermöglicht, weil Erkenntnisse gewonnen werden, der Status quo hinterfragt wird. Wechselwirkungen können nicht mehr ausgeblendet werden, verschiedene Kommunikationsebenen bilden sich heraus.

 

Ästhetik bedeutet Orientierung zu geben und damit Vertrauen zu schaffen. Durch ein ästhetisches Gesamtkonzept erhalten Unternehmenswerte einen unverwechselbaren Ausdruck. Es entsteht eine unternehmensspezifische Einheit, die Identifikation befördert.

 

Ästhetik ist mehrdimensional, komplex, und als Werkzeug eingesetzt, gelingt die Gestaltung von Konzepte kohärent und anspruchsvoll und vernetztes Denken wird gefördert.

Ästhetik leistet einen positiven, ausgleichenden Beitrag, um Klarheit für Werte, Ziele, Kultur und Philosophie zu erlangen; sie schafft Harmonie und verhindert Beliebigkeit, Unordnung und Unsicherheit.

Ästhetik ist grundsätzlich eine abstrakte Dimension, sich dem Verständnis für die Welt und Erkenntnisse über die Welt zu nähern, mit motivierender und anregender Wirkung.

 

Hier entwickelt sich ein neuer Kern in der Unternehmensführung: die emotionale Bindung der Stake- und Shareholder durch das Gestalten höherer Motivationen und größerer Identifikationen in einer neuen ästhetischen Dimension.

 


Foto_Mitschnitt_DGÄ_Kongress_2021

Kritische Intervention zur ästhetischen Instabilität

Zum Thema „Ästhetische Instabilität“ ein Video-Mitschnitt vom XI. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik – DGÄ – vom 13. Bis 15.07.2021 / Panel 15 „Kritische Interventionen