#NeueÄsthetischeDimension – Der emotionale Mehrwert in Zeiten des Umbruchs

Die Veränderungspakete

Es ist mittlerweile eine hinlänglich bekannte Plattitüde, dass sich Unternehmen und Institutionen in immer größerem Wettbewerb befinden – lokal wie global, analog wie digital. Hinzu kommen durch die Covid-19-Pandemie sich verstärkende gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Umbrüche und Umwälzungen, deren Richtung und Ausgang nicht abzusehen sind.

Bisweilen scheint es jedoch, dass das Paket an Veränderungen noch nicht bei allen und bei einigen nur in Teilen angekommen ist.

Angefangen bei der Möglichkeit von „Nur Barzahlung“ (Digitalisierung) bis hin zur offensichtlich vernachlässigten Außendarstellung (Ästhetik) – letztere offenbart sich dann durch Vernachlässigung in Beliebigkeit oder im Verharren in einer vergangenen Zeit.

Es mangelt beispielsweise einem milliardenschweren Startup mit überzeugendem IT-Produkt und viel Erfolg seinen Stolz mittels einer unverkennbaren und scharfen Ästhetik in die Welt zu tragen. So werden auf Messen Vlies-Taschen mit Weißblautönen verteilt, deren Aufteilung und Proportionen erkennbar schon von einer weltbekannten Hilfsorganisation aus Kalkutta besetzt sind oder unverwechselbare Reminiszenzen der Flagge eines beliebten Urlaubslandes wachruft, das sich aus seiner finanziellen Schieflage nur allmählich wiederaufrichtet. Beides doch eher unpassende und verfehlende Assoziationen.

Gut möglich, dass diese gebremsten Leidenschaften unter dem Begriff „Hoffnungskrise“ zu subsumieren sind.

Die Wirtschaft, der Markt – emotionale Systeme

In diesen Zusammenhang passt das Thema, das das zukunftsInstitut in einem seiner Newsletter benennt:

„Wirtschaft ist von Menschen gemacht, sie ist also ein durch und durch emotionales System.“

Wie lange wurde diese Tatsache in der Schublade versteckt und ihre Existenz geleugnet.

Denn rational, wie dies immer wieder gern behauptet und bewertet wird, war die Wirtschaft, waren die einzelnen Unternehmen noch nie. Angefangen zum Beispiel beim Psychogramm eines Unternehmensführers, das die strukturellen Details, die jeweilige Kultur und das Selbstverständnis der Mitarbeitenden prägt.

Alpha-Männchen-Verhalten auf den unterschiedlichsten Management-Ebenen sind ein offenbarendes Beispiel. Die Notwendigkeit einer gesetzlich vorgeschriebenen Frauenquote für die Vorstandsetagen ist ein weiteres entlarvendes Indiz dafür, wie wenig rational „die Wirtschaft“ tickt, und subtilere Dynamiken innerhalb von Organisationen lassen sich erst durch genaues Hinschauen und Analysieren identifizieren.

„Wir stehen der Welt nicht bloß erkennend, sondern auch wertend gegenüber, nicht gleichgültig, sondern interessiert.“ (Moritz Schlick)

Und nun: In einer Gesellschaft, die sich durch Transformation und wachsende Diversität auszeichnet, steigt der Anspruch an die ästhetische Wahrnehmung als Vergleichs- und Differenzierungsgröße.

Aktuell sind die ersten Vorboten von tiefgreifenden Veränderungen zu erkennen.

Mit „New Work“ als Konzept beispielsweise – mit Grundlagen aus den 80er Jahren des vorherigen Jahrhunderts – werden bestehende Arbeitsprozesse hinterfragt, vorhandene Strukturen grundlegend verändert, neue Arbeitsweisen gefordert.  (New Work: Frithjof Bergmann, Marcus Väth). Und auch althergebrachte und über Jahrhunderte bewährte, im neoliberalen System fast untergegangene Leitbilder erfahren mittlerweile eine Renaissance. Immer häufiger wird zum Beispiel wieder das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns aufgerufen, das seit dem 14. Jahrhundert ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein gegenüber Geschäftspartnern, Mitarbeitenden und der Gesellschaft insgesamt einfordert. In Zeiten von sich überschlagenden Purpose-Konzepten ein nicht zu unterschätzender Vergleichswert (Benchmarking).

Die Werteorientierungen verschieben sich

Wir finden uns derzeit an einem Punkt, an dem das gesamte Wirtschaftssystem in Frage gestellt wird: sei es in protektionistischer Ausprägung oder in neo- bzw. ordoliberaler Hinsicht.

Das Bewusstsein und die Sensibilisierung der Menschen für Klimaveränderungen und Arbeitsbedingungen treiben die Umwälzungen immer stärker voran.

In toto verschiebt sich derzeit die gesamte Werteorientierung.

In diesen Zeiten wird ein ästhetisches Erscheinungsbild, das die Persönlichkeit und das Image eines Unternehmens, einer Institution wiederspiegelt, zum non-verbalen Entscheidungsfaktor – ob gewollt oder nicht. Es gibt indessen keinen Automatismus, dass die Ästhetik mit diesem Wandel anspruchsvoller wird und der Komplexität ihrer Wirkung gerecht wird.

„Wenn deine Identität nach demselben Modell zusammengebaut ist wie alle anderen (oder fast alle anderen), siehst du keine Notwendigkeit, sie einer rationalen Prüfung zu unterziehen...und sich in ein bestimmtes Netz von Normen einfügt. So fixieren sich...nach und nach Objekte, bis daraus die mehr oder weniger definierten ... Subjekte entstehen...“. (Luis Allegre)

Als Katalysator für die oben genannten Entwicklungen, kann zusätzlich die Entmenschlichung der Arbeit aufgrund der Dominanz der Controlling-Abteilungen aufgezählt werden, die sämtliche Ebenen und Bereiche einer ökonomischen Analyse unterwerfen. Die Objektivität dieser Analyse ist dabei nie möglich.

So wurde auch die Ästhetik als belastender Kostenfaktor identifiziert und sukzessive abgebaut, aus der Wertschöpfungskette verbannt.

Sie erlitt das gleiche Schicksal wie viele HR-Bereiche aufgrund der Un-Berechenbarkeit ihrer kurzfristigen Wirkung. Was nicht zu berechnen ist, hat keinen Wert, obwohl das Controlling Zahlen nur ex post liefert. Ein weiterer Schwachpunkt für eine in die Zukunft gerichtete Steuerung, aber vor allem ein fehlender Exzellenz-Punkt für gute Führung, Leadership.

Die Ästhetik fristet ein hintangestelltes Schattendasein, wird zur Behandlung ausgelagert, restriktiv kostenmäßig eingehegt und findet sich von den betrieblichen Strukturen abgekoppelt. Die Außendarstellung soll halt irgendwie günstig und „schön“ ausfallen – vor allem entsprechend dem angesagten Zeitgeschmack.

Und das obwohl die visuelle Umsetzung im Corporate Design die Identität, den Charakter und, wie oben bereits erwähnt, die Werte eines Unternehmens transportiert und diese auf eine #NeueÄsthetischeDimension hebt.

Wird Ästhetik nur als Vorwand missbraucht, um nach außen hin attraktiv zu wirken, ist sie nichts weiter als ein Potemkinsches Dorf, in dem nach kurzer Zeit, die Fassaden einstürzen – mit unbezifferbarem Schaden.

Die wachsende Relevanz von Ästhetik

Gleichwohl ist eine wachsende Relevanz von Ästhetik in der Wirtschaft zu beobachten. Allein die Bereitschaft, sich auf dieses Thema einzulassen hat erkennbar zugenommen, zusammen mit sich verändernden Führungsverständnissen und der Frage nach einer übergeordneten Bedeutung.

Beiträge zu ästhetischen Themen schaffen es mittlerweile auch in die Tagespresse.

Nicht zuletzt nimmt der philosophische Diskurs dazu immer mehr an Fahrt auf und wird nach und nach in einen breiten gesellschaftlichen Diskurs münden. So ist eine illustrierte Ausgabe von Alexander G. Baumgartens „Ästhetik“ angekündigt und Sagmeister und Walsh reüssieren mit ihrer Ausstellung „Schönheit“ in Wien und Hamburg – obgleich sich über den dort kurartierten Schönheitsbegriff trefflich streiten ließe.

Nichtsdestotrotz: Ästhetik entfaltet ihre ganze Wirkung erst gewinnbringend, wenn sie frühzeitig in die Wertschöpfungskette eingebunden wird. Auf diese Weise kommuniziert sie eine anspruchsvolle Haltung nach innen wie nach außen. Sie schafft Ordnung und Identifikation, durch die Erkenntnisse, die sie durch die erforderliche Selbstreflektion generiert.

Eine Ästhetik verändert und entwickelt sich (ob gewollt oder nicht) und transportiert ein Image (ob gewollt oder nicht), denn jedes Unternehmen, jede Institution ist ein organisches, lebendiges Konstrukt, dessen ästhetischer Ausdruck zu einem willentlichen Gestaltungsprozess führen kann, nein: muss!

Mit dem Verständnis, dass Unternehmen und Institutionen emotionale Konstrukte sind, lassen sie sich gleichermaßen als Individuen mit eigenen ästhetischen Attributen betrachten.

Wenn die Grundlagen bearbeitet sind, indem eine belastbare Analyse der betrieblichen Abläufe und Prozesse vorliegt – strukturiert und kohärent – Kultur, Inhalte, Positionierung und Ziele klar definiert sind, kann das Thema „Ästhetik“ identitätsstiftend gestaltet werden mit dem Ergebnis eines (immateriellen) Wertes.

Wie für alle Managementfelder gilt auch hier, dass „das Zeitalter der Kreativökonomie angebrochen“ ist „– und es gilt Abschied zu nehmen von der rationalen Leistungsgesellschaft“(zukunftsInstitut: Megatrend New Work) – wenn diese Leistungsgesellschaft denn je rational gewesen ist!?

Purpose ist the new driving force of the economy – (Aaron Hurst / Psychology Today)

Allerdings hat es den Anschein, dass „Kreativität“ vielfach lediglich zum Werkzeug der Profitmaximierung verkommt und in ein eng gefasstes, konformes Korsett geschnürt wird mit vermeintlich relevantem Stellenwert für die „purpose economy“.

Indes: Entscheidend und unbestritten für den Erfolg eines Unternehmens ist ein höherer Sinn, der über die Profitmaximierung hinausgeht und der für loyale Mitarbeiter sorgt.

„...nur wenn wir den Sinn eines Unternehmens kennen und er uns bei der Arbeit bewusst ist, haben wir das Gefühl, Teil von etwas Großem zu sein und unsere Zeit in etwas zu investieren, für das es sich lohnt zu streiten, zu kämpfen, sich anzustrengen.“ (zukunftsInstitut: Rezension: „Der Sinn des Unternehmens“ von Dominic Veken)

Hier entwickelt sich ein neuer Kern in der Unternehmensführung: die emotionale Bindung der stake- und shareholder durch das Gestalten höherer Motivationen und größerer Identifikation für eine #NeueÄsthetischeDimension als integraler Bestandteil unternehmerischer Aktivitäten.

Der „purpose“, „Sinn“ der Arbeit umfasst mehrere Ebenen für Unternehmen wie für Institutionen und ist eher mit dem Begriff „Bedeutung“ zu belegen.

Der verfolgte Zweck und das Ziel sowie deren Art und Weise, die Arbeitsbedingungen, die Kultur, die Orientierung am Gemeinwohl, die Stellung im Wettbewerb, wirken unmittelbar auf die extrinsische und im Besonderen auf die intrinsische Motivation ein.

Folglich steigen die Ansprüche an Arbeit, an Arbeitsformen, Arbeitsverhältnissen und -weisen, die aufgrund der globalen und sozialen Vernetzungen immer intensiver eingefordert werden und mit ihnen echte und faire Möglichkeiten mit Verantwortung für das Glück des Einzelnen wie für die Gesellschaft insgesamt.

Arbeit muss eine Bedeutung haben, die die unternehmerischen Motive mit den persönlichen und den gesellschaftlichen weitestgehend in Einklang bringt, eine erfahrbare Wirkung, individuelles Wachstum, positive Herausforderungen und Gestaltungsspielräume beinhalten, zwischenmenschliche Beziehungen fördern und die Herausbildung co-kreativer Gemeinschaften ermöglichen.

Unternehmen und Institutionen müssen sich mit der Suche nach ihrer Bedeutung und ihrem Sinn auseinandersetzen. Dabei befinden sie sich in einem Geflecht, dessen Komplexität mittels Ästhetik intuitiv vermittelt wird und damit den entscheidenden Unterschied markiert: für Mitarbeitende, Kunden, Geschäftspartner.

„Kunde ist jeder, der dazu beiträgt, dass wir wiederholt eine Leistung erbringen können."(Götz W. Werner)

Zukunftsorientiertes Leadership integriert den kreativen Ansatz ästhetischer Gestaltung und implementiert diesen Prozess als Schlüssel für erfolgreiche Kommunikation nach außen wie nach innen. Im Ergebnis erhöht sich die Attraktivität, wahrnehmbar in der jeweiligen Markierung im Corporate Design, in der Corporate Identity, im Employer Branding.

Die Komplexität einer unternehmensspezifischen Ästhetik

Die Auseinandersetzung mit Ästhetik erfordert einen Weit- und 360°-Blick mit 4-dimensionaler Sichtweise auf das Arbeitsumfeld und darüber hinaus. Als Sinneswahrnehmung ist ihr immanent, dass sie mehrdimensional ist (zum Beispiel auch den Bereich der Führungspsychologie verknüpft) und die vagen Anteile unseres Denkens integrieren und damit Intuitionen leiten kann.

Erarbeitet wird die Ästhetik für das jeweilige Unternehmen, für die jeweilige Institution durch die Betrachtung der Strukturen und Prozesse aus der Distanz, von außen, in Perspektivwechseln mit kreativem Gegenwind für den Status quo.

Die Komplexität an Herausforderungen vergrößert sich mit der Digitalisierung Chancen und Möglichkeiten, die die Zukunft 4.0 mithilfe von 5G bietet.

Dabei kann Ästhetik – im Change-Management mitberücksichtigt – positive Energien freisetzen.

Sie stellt aus den oben angerissenen Themenkomplexen einen größeren, intuitiv erfahrbaren Zusammenhang her und baut einen Orientierungsrahmen.

Im Ergebnis verleiht sie einer komplexen Idee oder Vision Ausdruck und Identität, integriert Ambivalenzen, Unwägbarkeiten und Friktionen und schafft dadurch Orientierung und Perspektive.

Die ergebnisorientierte Beschäftigung mit Ästhetik erzeugt Freude, denn das Resultat ist immer um eine Dimension höher als zuvor durch die auf dem Weg dahin gewonnen Erkenntnisse.

Sinnliche Wahrnehmungen, Gefühle, Ideen, Stimmungen, Wechselwirkungen und komplexe Zusammenhänge werden buchstabiert und können dann als Erfahrung und Erkenntnis gelesen werden. (nach Johann Karl Friedrich Rosenkranz)

Daraus entsteht ein ganz spezifisches Narrativ – für die Positionierung, für das Ziel, für die Bedeutung – das intuitiv erfassbar als #NeueÄsthetischeDimension wahrgenommen werden kann.

Schließlich: Ästhetik gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht das Unsichtbare erfassbar. (nach Paul Klee)

 

Matthias Franck